Béatrice Stössel, 27.10.2023
Kommen Sie mit mir auf meine mitternächtliche Reise, welche mir eine Glücksfee vor langer Zeit bescherte: Eine Ballonfahrt. Nein, nicht eine kurze! Eine ganz lange Fahrt, eine ganze Vollmondnacht hindurch.
Abheben sollten wir in Zurzach. Den ganzen Tag über war ich schon nervös. Ob ich wirklich einsteige in diesen Korb? Prahlerisch erklärte ich meiner Familie: „Klar, das mache ich!“ Doch wenn ich ehrlich bin, so blitzten Gedanken durch mein Hirn wie: Was, wenn der Korb kippt? Ich trage keinen Fallschirm am Rücken! Was, wenn wir auf einem eisigen Berggipfel hängen bleiben? Wir wissen nicht wohin der Wind uns treibt. Der Pilot schrieb in seinen Anweisungen, dass es durchaus sein kann, irgendwo in den Alpen zu landen und deshalb Pullover, Handschuhe, Windjacke und gutes Schuhwerk Pflicht sei, ebenso Euros, falls wir in Frankreich oder Deutschland zu Boden gingen. Vorgängig sollten die Passagiere auch nicht literweise Wasser oder sonstige Getränke zu sich nehmen. Ich verbrachte also den Tag fast ohne Speis und Trank, startete gegen Abend in Richtung Zurzach. Mein Herz klopfte nicht, es polterte.
Am Startplatz, emsiges Treiben. Der Ballon schon fast voll mit Gas, zeigte seine imposante Hülle über einem kleinen Korb. Peter, der Pilot, gab Anweisungen, lud Funkgerät, Getränke, Notfallapotheke und was weiss ich noch ein. Es wurde immer enger in diesem Geflecht was die freie Standfläche betraf. Ich fragte mich wie viele Personen mitfahren würden? Drei auf alle Fälle, der Pilot, der Co-Pilot und meine Wenigkeit. Doch es standen noch mehr Leute auf dem Platz.
„So los, einsteigen!“ Die Namen wurden aufgerufen und zum Schluss waren wir zu sechst. Die Helfer standen bei den Seilen und liessen uns, auf Peters Kommando, vom Haken. Langsam und still hob das Gefährt vom Boden ab.
„Gute Reise, viel Glück, bis morgen früh...“, so die Rufe von unten. Wir winkten zurück, das Abenteuer begann. Es war noch hell genug um in die Gärten unter uns zu schauen. Es wurde gegrillt, gefeiert und uns zugerufen. Peter grüsste zurück mit dem Schlachtruf: Haaalunggä! Wir gewannen an Höhe und schwebten davon.
„Du bist zuständig für die Zeit und erinnerst mich alle Stunden daran, dass wir unsere Position an die Flugsicherung in Kloten durchgeben“, bestimmte Peter an mich gewandt. Jeder erhielt ein Ämtli. Anfänglich war unser Geschnatter nicht zu überhören, doch je länger die Fahrt dauerte, desto ruhiger wurde es im Korb.
„Wie viele Sandsäcke werden wir über Bord werfen“, fragte ich?
„Da wird nichts einfach so über Bord geworfen, nur auf mein Kommando.“ Upps, da bin ich wohl in ein Fettnäpfchen getreten und dies bei so wenig Standfläche. Egal, es ging weiter und der Wind trug uns nach Lenzburg.
Mitternacht! Unter uns der Bahnhof, ein letzter Zug war gerade eingefahren und wir standen still darüber.
„Mitternacht nicht am, sondern über dem Bahnhof, ein Gefühl der ganz anderen Art“ witzelte ein Passagier.
„Kipp mal ein halbes Schäufelchen Sand runter“, wies Peter den Co-Pi an und schon gewannen wir an Höhe und kamen in einen Luftstrom der uns weiterfahren liess. Weiter durch diese midnightblue-laue Sommernacht im August, einem unbekannten Ziel entgegen.
Der Fernblick war einzigartig. Alles war in dieses mystische Dunkel getaucht. Unter uns Wälder, Felder, Dörfer. Nie hätte ich mir träumen lassen wie klar und genau man alles sehen konnte. Der Weitblick fast unendlich. Der Vollmond spendete sein ganz besonderes Licht. Im Korb war Stille eingekehrt. Jeder war mit seinen Gedanken beschäftigt. Unterbrochen nur durch die Standortmeldung im Stundenrhythmus oder einem andächtig geflüsterten Hinweis auf einen Weiher, auf Vieh auf der Weide, Häuser oder Dörfer unter uns. Wir überflogen ein einsames Gehöft. Der Wachhund bellte. Er spürte, dass etwas vor sich ging, was nicht normal war und warnte. Orten konnte er uns nicht.
„Schaut, dort drüben. Es geht los, die Sonne erwacht!“
Am Horizont ein erster schwacher Lichtstreif der immer breiter wurde. Das Midnightblue wich der Morgenröte. Wir schauten gebannt auf die Trennlinie zwischen Himmel und Erde. Als die Sonne die Grenze durchbrach jubelten wir. Applaus für die Sonne. Wir fanden unsere Sprache wieder, schauten übermütig über den Korbrand nach unten. Dieses Mal kamen wir über einer Autobahn zu stehen. Eine Kirchturmglocke schlug sechsmal. Wieder schütteten wir etwas Sand über Bord und weiter gings.
„So langsam bereiten wir uns auf die Landung vor. Wir brauchen eine grüne Wiese, ohne irgendwelche Masten oder Drähte die den Anflug stören. Also Augen auf. Das gilt für Alle“, lautete des Käptens Befehl. Der Co-Pi gab erneut die Koordinaten per Funk durch. Dieses Mal auch an die Bodencrew, welche uns irgendwo in den Pampas finden sollte. (Es gab damals noch keine Handys).
„Da vorne, das könnte passen“, so der Pilot. Es wurde Gas abgelassen, wir sanken, verloren rapide an Höhe. Die Tannenwipfel kitzelten unseren Korbboden und es schwankte schon ein bisschen! Mein Herz klopfte wie wild. Der weitere Sinkflug verlief störungsfrei. Ein kleiner Hopser und wir landeten sicher auf „der grünen Wiese“, um mal ein Cliché zu bedienen. Schnell kletterten wir aus dem Korb und wir fielen uns um den Hals, gratulierten dem Piloten zur einwandfrei geglückten Landung. Es wurde auf unsere Jungfernfahrt im Ballon angestoßen, mit fürchterlich lauwarmem Sekt. Doch das war uns schnuppe, denn wir jubelten: Erde du hast uns wieder!