Simone Buser, 08.07.2021
Er sieht sie an, findet sie schön, schön wie Aphrodite. Sie könnte jetzt entzückt sein und ist es nicht. Stattdessen kneift sie die Augen gefährlich zusammen, bereit zum Nahkampf.
Vor aller Augen verborgen, ist sie drauf und dran ihre Pfeile abzuschiessen, ihn wieder einmal ausbluten zu lassen. Im Partygewühl verschwimmen die Konturen, aber nicht sein Bauchansatz. Seine Fassade blättert vor ihren Augen und seine Augen sind am Wandern. Gleiten über Muster an Blusen und Röcken, bleiben an Grübchen, Rundungen und so manchem Leberfleck kleben und dies in staunender Weise, als hätte ihn der Storch gerade erst auf die Erde fallen lassen.
Dabei scheint ihn Ungehobeltes genauso zu faszinieren wie Geschliffenes. Er bemerkt weder eine errötete Wange noch eine kühle Schulter. Manchmal fängt er einladende Blicke ein, die ihn irritieren, denn er ist doch wohlig gebettet unter ihren Fittichen. Umso mehr sieht sie aber jetzt ein rotes Tuch, und das Fallbeil der Liebesguillotine droht diesmal ohne Gnade auf sie beide niederzusausen.
Jegliche Dramaturgie ist unweigerlich mit ihrem Therapeuten verknüpft. In ihren Sitzungen ermutigt er sie zum Selberflirten, um die Metamorphose von der Raupe zum Schmetterling voranzutreiben. Wichtig sei es, verirrte Neuronen zu neutralisieren und neue Denkstränge zu manifestieren.
Prompt erhascht sie ein vielsagendes Augenpaar und in ihrem Kokon wird es enger, eine erste Häutung könnte gelingen. Noch ist Zeit, als siegreiche Stute aus der vermeintlichen Hengstparade hervorzugehen. Noch ist Zeit…