Béatrice Stössel , 20.04.2024
Ich hasse den Muttertag!
Wie bitte, werden Sie fragen. Doch ich wiederhole es gerne: Ich hasse den Muttertag, der zwar ursprünglich als Gedenktag zu Ehren der verstorbenen Mutter von Anna Marie Jarvis (USA) gedacht war, sich inzwischen jedoch zu einem - von aussen aufgezwungenen - Kommerzfest gewandelt hat.
Lassen Sie mich ein wenig ausholen, damit Sie die
Aussage nachvollziehen können. Meine erste Negativerfahrung reicht in meine
Kindheit zurück. Meine Schulfreundin und ich hatten einen Plan. Wir wollten den
schönsten Feldblumenstrauss der Welt pflücken für unsere Mütter und diese am
Sonntag damit überraschen. Ich hatte allerdings die samstägliche Pflicht, auf
die kleine Schwester aufzupassen und wollte sie motivieren mitzukommen. Doch
sie wollte nicht.
„Ich habe ein anderes Geschenk für
Mami“, verkündete sie wichtig. „Aber fahrt nur, ich darf zu Frau Frei. Sie
passt auf mich auf.“
Frau Frei, eine herzensgute Dame im Nachbarhaus, welche stets ihre Hütedienste
anbot. Auf sie konnten sich die Mütter in der Umgebung guten Gewissens
verlassen, so sie Unterstützung brauchten. Frau Frei war auch DIE Anlaufstelle
für uns Kinder. Sie verwöhnte uns mit Süssigkeiten und spannenden Geschichten.
Ihr Gugelhupf war legendär und der Beste weit und breit. Besonders gut
schmeckte er, wenn wir beim Backen dabei sein durften. Sie liess uns die
Schüsseln ausschlecken, buk immer separate kleine Exemplare, die wir vorkosten
durften, da sie früher aus dem Ofen kamen, während die Grossen noch weiter
reiften in der heissen Röhre. Also lieferte ich das Schwesterherz bei Frau Frei
ab, die schon „Schoggibrötlii“ bereitgestellt hatte für ihren Liebling: s‘Roseli.
Der Hütepflicht entbunden, radelten wir los. Die Körbe auf dem Gepäckträger
waren zusätzlich mit einem Gummiseil gesichert und mit nassen Zeitungen gefüllt,
damit wir die Blumen darin einwickeln konnten. Sie sollten frisch bleiben, bis
wir sie, bis dahin von uns gut versteckt, in einer Vase platzieren konnten. Die
Blumenwiese war prachtvoll. Margeriten, roter Klee, blaue Kornblumen, zarte
Grashalme banden wir zu einem Strauss. Zu Hause versteckten wir die
Blumenpracht im kühlen Keller. Ihr Einsatz war ja erst für Sonntag geplant.
Sonntag – Muttertag! Frühstück en famille. Ich freute mich, denn, so wollte es der Familienbrauch, wenn Mama den letzten Schluck Kaffee getrunken hatte, beschenkten wir sie. Also eilte ich in den Keller, um meine Feldblumen zu holen, und s’Roseli stürmte mit Papa in die Garage. Was sie dort versteckt haben mag, fragte ich mich.
„Oh, oh,
wie wunderschön!“, hörte ich Mutters Stimme schon von weitem. Unnötig zu
erzählen, dass ich mich beeilte, um zu sehen, was so viel Entzücken und Lob
auslöste bei der Beschenkten. Ich staunte nicht schlecht. Mama hielt in einem
Arm einen grossen Rosenstrauss und im andern meine Schwester. Und immer wieder:
Oh, so schön, danke für die herrlichen Rosen!
„Für dich und einen schönen
Muttertag!“ Etwas verlegen streckte ich meine Feldblumen der Mutter entgegen,
doch sie hatte keine Hand frei, um ihr Geschenk entgegen zu nehmen.
„Danke, leg sie auf den Tisch, und sei
so lieb und hole doch eine Vase, um die Rosen einzustellen.“ Ich holte zwei
Vasen, eine für die Feldblumen und eine für den Strauss der Schwester, die mich
triumphierend anlächelte.
„Deine Gammelblumen waren
ja wohl gar nichts! - Aber meine Rosen!!! - Und auf dem Rad abstrampeln
musste ich mich auch nicht,“ flüsterte sie
mir zu. So viel war klar, es war Papa, der das Geschenk gekauft hatte. Dieser
Muttertag war schmerzlich und hatte meine Seele verletzt.
Jahre später, ich war inzwischen längst selber Mutter geworden, rückte das Ehrenfest näher. Die Blumenhändler rüsteten auf, Hand in Hand mit den Schokoladefabrikanten; und ich erinnerte mich an jenes längst vergangene Ereignis. „Bloss keine Rosen!“ Dieser Gedanke beherrschte mein Denken. Es gelang mir einfach nicht, diese Erinnerung aus meinem Kopf zu peitschen, als meine Tochter mich um ein Gespräch bat. Es gehe um den Muttertag. Das auch noch! Aber da musste ich jetzt durch.
„Weisst du“, begann sie, „ich habe grosse Mühe mit diesem Fest. Der Grundgedanke, sich bei den Müttern zu bedanken für alles, was sie für ihre Kinder tun, ist unumstritten und gut. Nur, muss das immer und vor allem ausschliesslich an einem Sonntag im Mai sein?“ Gespannt wartete ich auf die Fortsetzung ihrer Rede. „Ich möchte dich viel lieber spontan beschenken, wenn du es gar nicht erwartest. Deshalb sei bitte nicht enttäuscht, wenn du keinen Rosenstrauss von mir bekommst nächsten Sonntag. Ich lächelte und frohlockte innerlich: Wenigstens keine Rosen. Aber dann: So gar nichts ...?
Sie möchten wissen, wie es weiterging mit diesem verflixten Muttertag? Es geht weiter und zwar genau so, wie es meine Tochter vorschlug. Immer wieder und immer dann, wenn ich es überhaupt nicht erwarte, gibt es kleine Überraschungen. Mal steht sie mit selbstgebackenen Sonntagszöpfli vor der Türe oder einem Topf mit meinem Lieblings-Sommerflor für den Balkon. Sie nimmt sich Zeit für einen gemeinsamen Spaziergang, bei dem wir uns zuhören. Und so beschenken wir uns inzwischen gegenseitig mehrfach und feiern MUTTER-TOCHTER-TAGE und nicht nur einmal pro Jahr ein bisschen Muttertag.
PS: Ich wechsle jetzt in die Küche – denn heute bin ich dran mit Sonntagszopfbacken!