Petra Sewing-Mestre, 22.11.2023
Wenn du mich fragst, warum ich schreibe, hat das für mich die gleiche Bedeutung, als wenn du mich gefragt hättest, warum ich lebe.
Ich schreibe, um das Leben zu verstehen. Und um herauszufinden, was ich denke und auch fühle. Denn das ist mir manchmal gar nicht so klar. Deshalb schreibe ich in erster Linie für mich selbst und nicht für die anderen. Ich schreibe - suchend und tastend - ohne irgendein Interesse an irgendeinem Ergebnis, weder sortiert noch optimiert. Manches möchte einfach nur geschrieben werden, um den Weg von innen nach aussen zu finden. Manchmal gelangt dann so ein Text doch zu den anderen. Und oft teilen sie mir dann mit, dass sie sich von meinen Texten mitgenommen fühlen – was mich sehr freut.
Und ich muss unbedingt auf Deutsch schreiben. Ich könnte auch auf Englisch schreiben.
Aber mein Geist verhält sich da wie eine höchst anspruchsvolle Diva. Er verlangt diese Ausdrucksmöglichkeit, die ich nur in der deutschen Sprache finde: priorisierende Satzgefüge mit einer breiten Auswahl von Konjunktionen, die den Inhalten den Platz zuweisen, der ihnen gebiert, unendliche Wortschöpfungen, mit denen ich noch das allerundeutlichste, kaum wahrnehmbare Gefühl in Worte fassen kann und die vielen (stilistisch als «überflüssig» verpönten) altmodischen Füllwörter – wie «eigentlich», «unvorhergesehenerweise», «nichtsdestotrotz», «gewissermassen» oder auch «gar» und «durchaus» – die es mir eben erst ermöglichen, die allerfeinsten Nuancen meiner Gedankenwelt auszudrücken.
Deutlich wird diese ganz besondere Fähigkeit der deutschen Sprache (die ihr leider allmählich abhanden kommt) im Vergleich mit dem Englischen in dem bekannten Titelsong der Kindersendung «Sesamstrasse»:
Deutsche Fassung:
«Der, die, das – wieso, weshalb, warum?
Wer nicht fragt, bleibt dumm.»
Englische Fassung:
«The, the,
the – why, why, why?
Who doesn’t
ask, stays stupid.”
Klingt für mich wie eine sprachliche Vergewaltigung.
Und das Schreiben ist noch so viel mehr, es ist zuweilen
mein Zufluchtsort. Dort lasse ich dann die Welt so entstehen, wie ich sie mir
wünsche. Wenn sie eben gerade nicht so ist, wie ich sie mir wünsche. Das Beste daran: Schreiben
funktioniert immer – auch wenn ich gerade mal nicht funktioniere. Es ist so
unglaublich befreiend, wenn das, was mir so schwer
auf der Seele liegt, den Weg aus meinem Körper auf das
Papier oder in den PC findet.
Ich habe entdeckt, dass es vielen Menschen so geht. Dass es ihnen hilft, dem Unfassbaren und Unfühlbaren in ihrem Inneren eine Gestalt zu geben, es zu verarbeiten und sich vielleicht sogar davon zu befreien. Die eigenen Licht- und auch Schattenseiten wahrzunehmen und besser mit ihnen umzugehen.
Das gelingt auch mit anderen kreativen Techniken wie der Malerei, gestalterischer Arbeit oder dem Musizieren. Kunst ist immer eine Bewegung von innen nach aussen. Damit kann man die Grenzen sprengen, die das Leben oder man selbst sich gesetzt hat.
Alle Menschen sollten die Möglichkeit haben, darüber nachzudenken, wie man die eigene Kreativität nutzen kann, um sich zu entfalten. Denn ich finde es so bedauerlich, dass viele Menschen sogar irgendwann dieses Leben wieder verlassen, ohne dass sie sich zum Ausdruck gebracht haben.
In der «Frauenakademie Luzern» wird es genau aus diesem Grund ab dem nächsten Jahr eine Schreibwerkstatt für Frauen geben, möglicherweise auch per Zoom. Es geht dabei um Gedanken, Gefühle und natürlich um Texte, die endlich das Licht der Welt erblicken wollen.
Damit wir mehr Bewusstheit und Lebendigkeit im Leben erleben.
Petra Sewing-Mestre
www.frauenakademie-luzern.ch