Wie bleibt man mit 70 noch attraktiv?

Julia Onken , 19.04.2024

Julia Onken
Julia Onken

Die Sache mit der Attraktivität ist eine schwierige Sache, zudem ist es für Männer und Frauen sehr unterschiedlich. Während der Mann im Alter durchaus noch als attraktiv gehandelt wird, was sich in den nicht wenigen Beispielen widerspiegelt, wenn das Liebesleben nach Beendigung der aktiven Berufsphase in verjüngter Neubesetzung nochmals aufgestartet wird, ist für Frauen ein Neubeginn mit zunehmendem Alter nur in Ausnahmefällen möglich. Es gibt keine Lebensphase, die beide Geschlechter durch die gesellschaftlich bedingten Auswirkungen in gleicher Weise betrifft - so auch nicht die des Älterwerdens.

Der Begriff der Attraktivität zieht sich wie ein roter Faden durch das weibliche Dasein. Bereits in jungen Jahren wissen Mädchen intuitiv, mit ihrer körperlichen Ausrüstung einen Joker zu besitzen, der jederzeit einsetzbar ist. Sollte es mit Ausbildung und beruflichem Erfolg nicht klappen, kann durch eine geschickte Bewirtschaftung der geschlechtsspezifischen Merkmale dennoch ein sozusagen leistungsunabhängiges Einkommen generiert werden. Jenseits der Lebensmitte schwinden die Zauberkräfte der körperlichen Anziehung dahin, selbst wenn durch die heute angebotenen zahlreichen Verjüngungsprozeduren, Korrekturen und operativen Torturen kurzfristig der Vergänglichkeit noch ein Schnippchen geschlagen werden kann.

Da nützt auch das Einreden nichts „Schliesslich ist man so alt, wie man sich fühlt“ und schrammt vor allem an der Realität vorbei. Wer ständig damit beschäftigt ist, sich begehrenswert zu präsentieren und sich hinzudrapieren, um auf dem Markt der Eitelkeiten mitzutanzen, kurvt zwar um die eigene Achse, ohne aber je in das eigene Zentrum vorzudringen. Diese Welt wird eh stets etwas kleiner, bis sie schliesslich dort endet, wo eventuell beginnende körperliche Beeinträchtigungen in den Fokus des Interesses rücken.

Hier macht sich der Rest Attraktivität schleunigst aus dem Staub, mehr noch, die Jungen nerven sich an jenen Alten, die sich in narzisstischen Pirouetten ausschliesslich um ihre Blutdruck- und Zuckerwerte drehen.

Älterwerden ist eine Herausforderung der besonderen Art. Sie wirft uns auf uns selbst zurück, Fluchtwege in zerstreuende Aktivitäten sind weitgehend verstellt. Wer sich nicht mehr nur durch seine Äusserlichkeit definiert, sondern auf seine Innenwelt zurück besinnt, wird ein reiches Kapital an Erfahrungen entdecken, das erlaubt, nicht nur die eigene Lebensgeschichte, sondern auch Weltgeschichte in einem umfassenderen Zusammenhang zu verstehen.

Jetzt geht es darum, Bilanz zu ziehen und sich mit den Fragen zu konfrontieren: Wer bin ich? Warum bin ich? Und mit diesen Fragen schwindet die Beschäftigung, sich körperlich möglichst attraktiv irgendwie in Stellung zu bringen. Wer sich diese gedankliche Möglichkeit erschliesst, wittert rasch die neue Freiheit, die darin liegt, sich selbst besser kennen zu lernen und sich damit näher zu kommen: Niemandem mehr gefallen zu wollen, Schluss zu machen, sich ständig irgendwelchen Wünschen anderer anzupassen, sich gastlich in seinem Körperhaus einzurichten und in einem freundschaftlichen und wohlwollenden Einverständnis mit sich zu leben.

Nein, das hat nichts mit Egoismus zu tun. Im Gegenteil. Wer sich selbst wohlgesonnen ist und sich Verständnis entgegenbringt, schult gleichermassen die Wahrnehmung für andere Menschen und wird auch in Beziehungen diese Qualität einbringen können.

Gerade für ältere Menschen – also auch für Männer! – könnte das Bestreben, in einen guten Selbstkontakt zu gelangen, der Auftakt für eine aufregende Reise zu sich selbst bedeuten. Endlich zu sich zu stehen, so wie man ist und was man denkt. Anstelle des Begriffs „Attraktivität“ schiebt sich ein anderes, viel tiefer greifendes Wort in den Vordergrund, Authentizität: Markenzeichen für Wahrhaftigkeit, Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit! „Attraktivität“, was für ein spielzeughaft unbedeutendes Wort! Im Wortschatz älterer Menschen könnte ruhig darauf verzichtet werden.

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