JuliaOnken, 10.11.2022
Vor wieviel Jahren hast Du als Teilnehmerin im FSB angefangen?
Ach Gott, das ist ja schon ewig her, es war Mitte der 90er Jahre. Meine turbulenten Wechseljahre und Dein Buch „ Die Feuerzeichenfrau“ haben mich wachgerüttelt, sodass ich beschloss mehr darüber wissen zu wollen. So kam ich auf die Idee, mich als Seminarleiterin ausbilden zu lassen. Damals hast Du Dir den Stoos als Seminarort ausgesucht und ich erlebte traumhaft schöne Tage dort.
Was waren damals Deine wichtigsten Eindrücke?
Ich erlebte damals eine nie gekannte Zugehörigkeit und Solidarität unter Frauen, die mich sehr beeindruckte und sicher auch Dein Verdienst als Seminarleiterin war. Du sprachst uns einfach aus der Seele. Deine Worte hatten Sogwirkung und haben mich motiviert, auf der Stelle los zu legen. Und natürlich war der Seminarort grandios. Ich fühlte mich wie „Heidi auf der Alm“ und so wuchs mir die Schweiz ans Herz und ist es bis heute geblieben.
Du bist mir sofort aufgefallen! Dein wacher Geist, Dein Interesse, ja, und auch Dein Charme haben mir von Anfang an sehr gefallen. Und ich dachte mir, «diese Frau muss ich mir merken». Und so kam es auch. Du hast weitere Ausbildungen bei uns gemacht, unter anderem auch als Trainerin (SVEB I) im FSB und bist in der Zwischenzeit aus unserm DozentinnenTeam nicht mehr wegzudenken. Wie hast Du diese Zeit erlebt?
Nun, ich habe Blut geleckt, wie man so schön sagt. Wer einmal am Frauenseminar war und erlebt hat, wie wertschätzend und wohlwollend unterrichtet wird, der kommt immer wieder. Jede Ausbildung hat mich beruflich wie privat bereichert. Einige davon habe ich in Deutschland absolviert und so kam es, dass ich auch bei Dir am FSB neue Spuren mit der Biografie und Trauma Arbeit legen konnte.
Zudem hast Du Dich auch als erfolgreiche Autorin positioniert. Bist Du gerade mit einem neuen Buch unterwegs?
Ich lasse mir viel Zeit, wenn es um ein neues Buch geht. Mit dem letzten Buch „Mut zum Lebenswandel“ halte ich regionale Lesungen und bemerke, wie aufmerksam die Zuhörenden sind, wenn es um biografische Themen der Lebensmitte geht. Zudem kommen in den letzten Jahren vermehrt neue Aufgaben auf mich zu, so dass ich mehr als ausgefüllt damit bin. Vielleicht schreibe ich wieder, wenn ich siebzig bin, das ist ja nicht mehr allzu lange hin. Doch ich bin auch ein Familienmensch und genieße meine fünfköpfige Enkelschar, da ist immer was los. Durch sie bleibe ich nah am Puls der Zeit.
Seit einigen Jahren hast du Dich auf die Trauma-Bewältigung spezialisiert und führst regelmässig Selbsterfahrungs und Weiterbildungsseminare im FSB durch. Weshalb ist es so wichtig, sich mit den eigenen Trauma-Erfahrungen auseinanderzusetzen?
Wir leben in einer traumatisierten Gesellschaft und wissen immer noch zu wenig darüber. Doch die Zeit ist jetzt reif für diesen Tabubruch. Viele Menschen denken bei Trauma an Krieg, Gewalt und Katastrophen, was ja auch stimmt. Die Flüchtlingsproblematik zeigt deutlich, wie es um diese oft sehr jungen Menschen steht. Heimatverlust und Trennung von der Familie ist schwer zu verkraften, viele von ihnen kennen auch Folter und Misshandlungen. Warum ich mich zur Traumatherapeutin habe ausbilden lassen, hat folgenden Grund: Mir ist bei meiner langjährigen Biografiearbeit aufgefallen, dass es in fast allen Familien generationsübergreifende Traumata gibt, die zwar verschwiegen wurden, die jedoch weiterwirken. Die meisten unserer Großeltern aus Deutschland erlebten zwei Kriege und litten an Hunger und Kälte. Frauen verloren ihre Kinder und Männer. Und die Männer, die den Krieg überlebten, waren gebrochen, jähzornig und gewaltbereit. Auch in der Schweiz gibt es dunkle Kapitel über die man lieber schweigt. Das Thema der Verdingkinder hat viele aufgewühlt. Doch was verschwiegen wird, rumort in den nachfolgenden Generationen weiter – was die Epigenetik inzwischen wissenschaftlich belegen kann - und zeigt sich beispielsweise in immer wieder kehrenden Beziehungsstörungen, nichtlösbaren Problemen am Arbeitsplatz, unkontrollierte Wut, Alkoholismus oder Sexsucht.
Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, um am Seminar «Trauma-Bearbeitung in der Praxis» teilzunehmen?
Im Grunde kann jeder daran teilnehmen, der sich für diese Thematik öffnet und einige der Trauma Module besucht hat. Im nächsten Jahr startet ja wieder eine neue Reihe. Ich halte es für dringend notwendig, angehende Berater oder Coaches über die Folgen eines Traumas, das sich in der Psyche eingenistet hat, aufzuklären und die Beratung dahingehend anzupassen. Wir leben in einer interkulturellen Welt und werden es in Zukunft mit Menschen zu tun haben, die aus Kulturen stammen, wo es normal ist, dass Frauen geschlagen und eingesperrt werden, wenn sie ohne die Erlaubnis des Mannes oder Familienclans, einen Deutschkurs besuchen wollen. Es ist wichtig fremde Kulturen zu akzeptieren, doch gleichzeitig müssen wir dafür sorgen, keine Handlungen zuzulassen, die traumatische Folgen haben.
Obwohl Du – wie auch ich – im Rentenalter angekommen bist, liegst Du nicht im Liegestuhl und ruhst Dich aus. Was treibt Dich an, weiterhin als Dozentin und in der Beratungspraxis tätig zu sein?
Das Pflichtprogramm des Lebens ist abgetragen und eine neue Zeit bricht an. Du kennst das auch, nicht wahr? Um die 70 bekommt das Ich eine zweite Chance, man verspürt eine unbändige Lust, sein Leben bewusster zu gestalten. Weißt Du, ich kann einfach nicht tatenlos zuschauen, wie Menschen sich quälen oder gegenseitig traumatisieren. Es ist also genau das, was ich gerade beschrieben habe: Ich bin mit 67 in einem Lebensabschnitt angekommen, der mich aufruft, meinen Dienst am Menschen fortzuführen, und ihnen auf gesunde Weise zu helfen, sich aus den Verwicklungen der familiär und gesellschaftlich bedingten Konflikte, heraus zu entwickeln. Mittlerweile laden mich Familien ein und ich darf mit einer ganzen Generationskette biografisch arbeiten, was ein großer Segen für sie und ein Geschenk für mich ist. Wie heißt es so treffend in Hesse Gedicht? Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden. Genauso erlebe ich es.