«Ich bin keine einfachere Frau geworden …»

FrauenseminarBodensee, 01.11.2024

«Ich bin keine einfachere Frau geworden …»
«Ich bin keine einfachere Frau geworden …»

Weshalb sich ihre Lebensgeschichte als Trilogie niederschreiben liesse, wie es sich anfühlt, wie Phönix aus der Asche aufzusteigen und mit Flügeln der Morgenröte in ein neues Leben aufzubrechen und was für sie wirklich tragende Bedeutung hat, erzählt Beatrice Tardino im Interview. In bewegender Offenheit berichtet die vierfache Mutter und erfolgreiche Berufsfrau von lebensverändernden Ereignissen, von transformierenden Einsichten und auf welche Erfahrungen, Werte und Fähigkeiten sie zurückgreifen kann, wenn sie als psychologische Beraterin anderen Menschen zur Seite steht.


Viele Menschen sehen das Leben als eine fortlaufende Reise mit Höhen und Tiefen. Wenn Du Dein eigenes Leben mit einem Abenteuerroman vergleichen würdest, welcher Titel würde ihn am treffendsten beschreiben?

Gute Frage. Lass mich kurz nachdenken.

Erlaubst Du mir die Freiheit, eine Trilogie aus meinem Lebensroman zu machen?

Nur zu.

Nun denn: Teil ein würde lauten «Gefangen im Sturm». Den zweiten Teil würde ich betiteln mit «Behütet im Sturm» und Teil drei findet den versöhnlichen Abschluss mit «Freude am Sturm».

Möchtest Du die Titel Deiner Lebenstrilogie mit einem kurzen Inhaltsverzeichnis ergänzen?

Gerne.

«Gefangen im Sturm»: Diese Phase meines Lebens war geprägt von emotionalen Herausforderungen, Verlusten und Lebensumständen, die mich nachhaltig beeinflussten und Jahre des inneren Kampfes bedeuteten. Ich haderte mit dem Leben und wollte – obwohl katholisch erzogen – von Gott und Glauben nichts mehr wissen.

«Behütet im Sturm»: Ich war an einem Punkt angelangt, wo es so wie es war, nicht mehr weitergehen konnte. Damals entschied ich mich, eine Therapie zu machen und wandte mich Gott wieder vorsichtig zu und fand zum Glauben an Jesus. Vor mir eröffnete sich ein Entwicklungsweg, auf den ich nun einen Fuss nach dem anderen setzte.

«Freude am Sturm»: Ich lerne, meine Vergangenheit zu akzeptieren. Vieles, was mich lange belastet hat, konnte ich verarbeiten und ungesunde Muster ablegen. Heute ist es mein ganz persönlicher Erfahrungsschatz. Es sind meine Ressourcen, aus denen ich privat und beruflich schöpfen kann und dies bereitet mir grosse Freude.

Du bezeichnest die Begegnung mit Menschen und die Begleitung anderer auf ihrem Lebensweg als Dein grosses Glück. Gibt es eine spezielle Geschichte, die ein echter Glückstreffer für Dich war?

Mein ganz persönlicher Glückstreffer ist mein Mann. Er hat sich von Schwierigkeiten nicht beeindrucken lassen, hat meine Krisen ausgehalten, auch schwere Situationen mit mir durchgestanden, mich in allen Vorhaben immer unterstützt – und er liebt mich bis heute genauso, wie ich bin.

Blenden wir etwas zurück. Du bist heute diplomierte psychologische Beraterin. Das warst Du aber nicht immer. Wie hast Du zu Deiner Berufung gefunden?

Tatsächlich komme ich zwar vordergründig aus einer anderen Branche: 1997 habe ich eine Berufslehre im Verkauf absolviert. Allerdings war mir auch in jenem Erstberuf die Arbeit mit und für Menschen sehr wichtig.

Nach meiner Heirat im Jahr 2000 – ich war damals gerade 21 Jahre alt – und der Ankunft unseres ersten Kindes ein Jahr später, erlitt ich eine Erschöpfungsdepression. In dieser Zeit kam ich erstmals mit der Psychologie in Berührung. Das Thema faszinierte mich sofort. Ich begann, zahlreiche Bücher über Psychologie förmlich zu verschlingen und erkannte schnell: Das ist es, was ich eines Tages tun möchte. Ich wollte Menschen in schwierigen Situationen oder Krisen begleiten und unterstützen.

Nach der Geburt unseres vierten Kindes im Jahr 2016 erlitt ich eine weitere Erschöpfungsdepression. Im Verlauf der Therapie erinnerte ich mich wieder an meinen früheren Wunsch und begann, mich konkret damit zu befassen. Schnell war klar: Ich möchte psychologische Beraterin werden.

Ein Wunsch, den Du zielstrebig in die Tat umgesetzt hast. Und zwar nicht nur einfach mit einer zeitfüllenden Teilzeitaufgabe. Du bist gleich aufs Ganze gegangen …

Tatsächlich habe ich in dieser Zeit eine der besten Entscheidungen meines Lebens getroffen: Ich suchte mir einen Job zur Finanzierung meines Vorhabens und nahm 2018 die Ausbildung zur psychologischen Beraterin auf. Das war wegweisend – für mich als Mensch, aber auch in beruflicher Hinsicht.

Die Ausbildung hast Du ja dann auch nicht irgendwo absolviert, sondern am FSB. Weshalb?

Julia Onken und das FSB kannte ich bis dahin nicht. Entscheidend für die Wahl der Ausbildungsstätte war für mich in erster Linie, dass ich einen anerkannten Abschluss erlangen konnte und die Ausbildung mit meinem Alltag und meinen Finanzen zu vereinen war. Bei der Eingabe der Kriterien hat mir die Suchmaschine das FSB vorgeschlagen. Das Schulungsangebot des Frauenseminars Bodensee hat mich auf Anhieb angesprochen – auch wenn ich zu Beginn gegenüber den reinen Frauenklassen etwas skeptisch war (lacht). Kurz darauf habe ich mich für die Ausbildung angemeldet – was alles verändert hat.

Ich wurde dann auch schnell eines Besseren belehrt: Es war eine grossartige Erfahrung, gemeinsam mit anderen Frauen eine Ausbildung zu durchlaufen; in einem behüteten, von Wertschätzung geprägten Raum. Das war eine sehr intensive Zeit. Vielleicht auch deshalb, weil ich mir selbst nie zuvor näher war als in jenen Jahren.

Du hast diese Entscheidung vorhin als eine die beste Deines Lebens genannt. Wie hast Du die Zeit am FSB erlebt? Gab es Schlüsselmomente? Situationen, die Dir in Erinnerung bleiben werden?

Was ich nie vergessen werde: Julia, ihre starke Haltung, ihr grosses Herz und ihr ebenso grosser Erfahrungsschatz, den sie mit offenen Händen weitergibt. Ihre Nahbarkeit und ihre Menschlichkeit haben bewirkt, dass ich mich verstanden gefühlt und begriffen habe: Ich muss nicht mit wenig zufrieden sein. Ich darf vom Leben viel erwarten!

Sehr prägend waren für mich aber auch die Kurse mit Dr. Eckart Ruschmann zu den Themen Beziehungs-, Familien- und Paarberatung. Im Verlauf dieser Ausbildungsblöcke wurde mir schlagartig klar, was ich wollte. Hier haben meine «Heimatglocken» zu läuten begonnen. Durch mein eigenes Erleben, das wurde mir bewusst, kann ich im Bereich «Beziehungen» aus persönlichen Ressourcen schöpfen. Nun brauchte ich nur noch das Fachwissen. Noch während der Ausbildung zur psychologischen Beraterin habe ich den SVEB I, eine Weiterbildung als Entspannungstherapeutin und das Trauma-Seminar absolviert. 2023 folgte schliesslich eine Ausbildung in integrativer systemischer Paarberatung und kürzlich (2024) eine weitere in Psychosozialer Nothilfe.

Auch was Deine Selbstständigkeit betrifft, hast Du nicht lange gefackelt und kurzerhand Nägel mit Köpfen gemacht.

Tatsächlich war mein Wunsch, mit der Arbeit zu beginnen, brennend! Bereits ein Jahr nach dem Beginn meiner Ausbildung, also 2019, habe ich meine eigene Praxis in St. Gallen eröffnet. Ich konnte für wenig Geld in einem zentral gelegenen Gemeinschaftskomplex einen Raum mieten und baute mir nach und nach einen Klientenstamm auf. Das war für mich sehr erfüllend. Tun zu können, was mir entspricht, macht mich glücklich.

Trotzdem – und das möchte ich betonen – ist bei alledem meine Familie stets das Wichtigste für mich geblieben; sie hat immer Priorität. Aber ich spüre auch, dass mein beruflicher Ausgleich für uns alle eine Bereicherung ist.

Am Ende Deiner Träume bist Du allerdings noch lange nicht angekommen. Nach fünf Jahren als selbstständige psychologische Beraterin hat sich Dir in diesem Jahr (2024) eine einzigartige berufliche Chance geboten, die Du ergriffen hast. Kannst Du etwas über Deine neue Tätigkeit erzählen?

Eigentlich fühlte sich die sich abzeichnende Veränderung zunächst nicht als Chance an. Im Gegenteil: Meine Praxis an der St. Leonhardstrasse in St. Gallen lief zwischenzeitlich so gut wie noch nie. Ich hatte den Eindruck, «angekommen» zu sein. Aber wie so oft nimmt das Leben unvorhersehbare Wendungen. Das Coworking, in dem ich meine Praxisräumlichkeiten eingemietet hatte, wurde anderweitig genutzt. Das war für mich ein herber Schlag.

Ich rappelte mich schnell auf und machte mich umgehend auf die Suche nach neuen Räumlichkeiten. Dabei stiess ich zufällig auf eine Stellenanzeige, die mich augenblicklich gepackt hat. Ich bewarb mich, erhielt die Stelle und bin nun seit Kurzem als Beraterin in der Beratungsstelle für Beziehungsfragen für die Kantone St.Gallen und beide Appenzell tätig; ein Angebot der katholischen Kirche (Anm.: Weitere Informationen unter www.btberatung.com)

Wir haben viel über Deinen Werdegang gesprochen. Lass uns noch einen Blick in Deine Tätigkeit werfen. Konkret: Von welchen Werten lässt Du Dich in Deiner Arbeit als Beraterin leiten und wie prägen diese Dein ganz persönliches Handeln?

Für mich persönlich ist der Glaube zentral. Davon lasse ich mich als Mensch leiten; in ihm finde ich Halt und durch ihn kann ich abgeben, was mich belastet. Meine Beratungstätigkeit hingegen gestalte ich ganz bewusst religionsneutral. Der fachlich-psychologische Aspekt steht im Vordergrund. Als Beratungsperson lasse ich mich in erster Linie von Empathie und Professionalität leiten.

Elementar wichtig ist mir ausserdem, ein Klima des Vertrauens zu schaffen – die Basis jeder Beziehung. Ein weiterer zentraler Wert meiner Tätigkeit ist Respekt: vor Bedürfnissen, Wünschen, aber auch vor Grenzen.

Noch eine letzte Frage: In den vergangenen sechs Jahren hast Du in Deinem Leben wahre Quantensprünge gemacht und enorm viel geleistet und erreicht. Was hat diese Entwicklung ganz persönlich in Deinem Leben bewirkt?
Es hat mich nicht zu einer einfacheren Frau gemacht (lacht). Ich bin authentischer, echter, sage auch mal nein. Ich habe gelernt, meine eigenen Bedürfnisse zu formulieren, mich nicht mehr für andere zu verbiegen und einfach ICH zu bleiben. Das finden selbstverständlich nicht alle super. Aber ich selbst bin glücklicher als je zuvor.

Zur Person:

Beatrice Tardino ist glücklich verheiratet, Mutter von vier Kindern und lebt mit ihrer Familie in Appenzell Ausserrhoden. Sie ist u.a. ausgebildete Dipl. psychologische Beraterin FSB / SGfB, Dipl. Entspannungs-Therapeutin und Dipl. Spielpädagogin, sie hat Vertiefungsseminare in Trauma-Bearbeitung und integrativer systemischer Paarberatung sowie den SVEB 1 in Erwachsenenbildung und eine Ausbildung in Psychosozialer Nothilfe absolviert.

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